Sprudelstein

Thema des Monats März 2003

„Carlsbader Suiten“ und Sprudelsteinwaren

Das Gewerbe der Sprudelsteinschleiferei war untrennbar mit den Karlsbader Quellen verbunden. Besuchte früher ein Kurgast Karlsbad, so befand sich unter seinen Erinnerungsstücken meist auch ein Gegenstand mit einer Einlegearbeit aus Sprudelstein. Abbildungen von beliebten geometrischen und floralen Motiven, die in den Sprudelstein-Mosaiken vorkommen, sozuagen ein „Karlsbader Charakteristikum“, findet man auch auf älteren Ansichtskarten oder auf Deckeln von Oblatenschachteln.

Die Karlsbader Thermen schütten pro Minute bis zu 2000 Liter heisses und mineralstoffreiches Wasser aus. Beim Austreten dieses Quellwassers bildet sich eine spezielle Kalkablagerung: der Aragonit. Er wird auch Sprudelstein genannt. Charakteristisch ist seine feine Bänderung mit vielen Farbabstufungen. Diese entstehen, weil Eisenverbindungen unter dem Einfluß von Sauerstoff und hohen Temperaturen unterschiedlich oxidieren. Am häufigsten treten Brauntöne auf. Daneben findet man auch gelbliche, rötliche, manchmal sogar bläuliche oder violette Färbungen. Sprudelstein aus tieferen Ablagerungsschichten ist weiß. Bisweilen ähnelt er in geschliffenem und poliertem Zustand dem Achat. Eine weitere Besonderheit sind die kugelförmigen Erbsensteine (Pisolithen).

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts erwachte ein wissenschaftliches Interesse an den Karlsbader Quellen. Die chemischen und physikalischen Vorgänge, die Fragen der Gesteinsbildung und insbesondere die Heilwirkung des Mineralwassers, standen im Vordergrund. Eine frühe Aufzeichnung über Sprudelstein stammt vom Karlsbader Arzt und Forscher David Becher. Er fasste 1789 das Wissen der damaligen Zeit in seinem Werk „Neue Abhandlungen über das Karlsbad“ zusammen.

Der Steinschneider und Mineralienhändler Joseph Müller gilt als einer der Ersten, der Sprudelsteine sammelte und kunsthandwerklich bearbeitete. 1776 soll er für das kaiserliche Kabinett in Wien einen Tafelaufsatz aus Sprudelstein gefertigt haben, der bis heute in den Beständen österreichischer Museen und Schlösser als verschollen gilt. Müller pflegte jahrzehntelangen Kontakt zu Goethe. Er verfaßte eine Abhandlung über die Karlsbader Sprudelsteine und verkaufte den Kurgästen 1806 Steinsammlungen. Diese sogenannten „Carlsbader Suiten“ wurden schließlich mit einer Begleitschrift Goethes über die Geologie und Mineralogie des westböhmischen Bäderdreiecks auf den Markt gebracht. Der Karlsbader Kaufmann David Knoll vertrieb nach Müllers Tod ab dem Jahr 1817 weiterhin diese Steinsammlungen.

Sprudelsteinarbeiten

Bereits lange vor Müllers und Goethes Zeiten wurde in Karlsbad der Sprudelstein verarbeitet. Laut Berichten des ausgehenden 17. Jahrhunderts legte man geschnitzte Figuren zum Versintern in die Rinnen, die das Sprudelwasser zu den Bädern leiteten. In einem Reisebericht aus dem beginnenden 18. Jahrhundert wird geschildert, dass eine Frau die „von dem aus dem Sprudel ausgehauenen Badestein gemachte Hembd-Knöpflein, Taback-Dosen, Schächtlein und dergleichen Raritäten zu verkauffen hatte“, wobei das ungewöhnliche Material „der einlaufenden farbigten Adern wegen Verwunderung erregte“. Historische Quellen geben für die Folgezeit kaum Aufschluß über kunsthandwerkliche Artikel dieser Art. Bis etwa 1820 sind in den immer zahlreicher werdenden Schriften über Karlsbad nur sehr spärliche Hinweise auf Sprudelsteinarbeiten zu finden. Ein regelrechter Boom setzte schlagartig ab etwa 1830 ein. Die Reiseführer weisen in Werbeanzeigen auf die große Palette von Andenken aus Karlsbader Sprudelstein hin. Führend zu diesem Zeitpunkt war die bereits erwähnte Firma Knoll mit ihren „Sprudelsteinwaren“. Zum einen gab es jetzt zahlreiche Artikel aus geschnittenen und geschliffenen Sprudelsteinen wie Kaffeebretter, Leuchter, Schreibzeuge, Urnen, Kreuze, Tabakdosen, Schmuck und vieles mehr. Zum anderen konnten unzählige Souvenirs mit mosaikartigen Einlagen aus Sprudelstein von den Badegästen erworben werden. Besonders beliebt waren Schmuckkästchen, aber auch Briefbeschwerer, Bilderrahmen, Messergriffe sowie Accessoires jeglicher Art.

Briefbeschwerer mit Dackelfigur

Kunststein mit Mosaikauflage aus Sprudelstein- , Erbsenstein- und Malachitplättchen
Gravur „Karlsbad“
Handgriff in Form einer Dackelfigur aus Zinkguß
Karlsbad um 1910
Länge 12,6 cm, Breite 8,3 cm, Höhe 6,3 cm

Dabei profitierten auch andere Zweige des Karlsbader Kunsthandwerks von den Produkten der Sprudelsteinschleifer, allen voran das angesehene Tischlerhandwerk in Karlsbad und dem benachbarten Pirkenhammer. Das Gewerbe wurde größtenteils in Heimarbeit betrieben. Die Kurgäste und Touristen konnten verschiedenste Sprudelsteinerzeugnisse in den Souvenirgeschäften Karlsbads kaufen. Im Jahr 1888 verzeichnete man insgesamt 10 Handwerker und Gewerbetreibende in diesem Metier. 1902 werden noch sieben erwähnt, darunter die größeren Fachgeschäfte mit eigener Erzeugung, die Firmen Schneider und Tschammerhöll.

„Versteinerte“ Erinnerungen

Eine Möglichkeit, den Sprudelstein für die Andenkenindustrie zu nutzen, bot die Versinterung. Dazu setzte man Gegenstände dem Sprudelwasserdampf aus.

Das wird auch heute noch in einem bedampften Raum unter der Sprudelfontäne praktiziert. Nach einigen Tagen überzieht eine feinkörnige Sinterschicht den Gegenstand. Auf diese Weise „versteinerte“ man Vasen, Schalen, Figuren aus nicht glasiertem Ton oder Porzellan, aber auch Pflanzen wie Rosen und ganze Hochzeitssträuße. Das „Patent“ am Versintern der Artikel lag beim Betreiber der Quellen, also bei der Stadt Karlsbad selbst. Sprudelstein-Schleifereien konnten dieses Monopol für eine begrenzte Zeit pachten. Beispielsweise für das Jahr 1902 ist dies für die Firma Tschammerhöll belegt.

Dieses Unternehmen war zu diesem Zeitpunkt sowohl bei der Erzeugung als auch beim Verkauf von Sprudelsteinwaren aller Art marktführend. In Anlehnung an die Handelsaktivitäten Müllers oder Goethes konnte der geologisch interessierte Gast oder der passionierte Sammler ein Kästchen mit verschiedenen rohen oder angeschliffenen Sprudelsteinen kaufen.

Kästchen mit Sprudelsteinsammlung

Produkt der Firma Adolf Tschammerhöll
Karlsbad, um 1900
Länge 32,5 cm, Breite 26,6 cm, Höhe 3,6 cm
Bestand Egerland-Museum

Das hölzerne Sammelbehältnis gleicht einem Setzkästchen. Es besteht aus einer einfachen Rahmenkonstruktion mit 20 einzelnen Fächern und einem Schiebedeckel. Das Inhaltsverzeichnis mit 20 Nummern wurde direkt auf den Deckel aufgestempelt. Aufgelistet sind 18 verschiedene Kalksintersteine (Sprudelsteine) und 2 Erbsensteine, jeweils mit der Angabe des Fundorts in Karlsbad.

Vom Rohling zur Einlegearbeit

Der rohe Sprudelstein wurde bei Arbeiten an den Quellen oder beim Grundausheben gewonnen. Auch die Ablagerungen in den Zuleitungen der Badehäuser fanden Verwendung. Etliche Arbeitsschritte waren nötig, um aus dem groben Gestein eine filigrane Einlegearbeit zu fertigen.

Zunächst mußten die Brocken zerschlagen und anschließend geschnitten werden. Wichtigstes Teil der Schneidemaschine war eine rotierende Metallscheibe, an der mit Zusatz von Wasser und Sand die Steine in die gewünschte Größe (5 bis 6 cm) geschnitten wurden. Die so gewonnenen kleinformatigen Steinstücke schliff man dann auf rotierenden Schleifscheiben zu Stäbchen von verschiedenartigen Querschnitten. Als Unterlage für das Mosaik diente meist eine kleine Dachschieferplatte. Diese wurde mit Kopallack oder einer ähnlichen Naturharzmischung bestrichen. Auf diese Klebeschicht legte man Scheiben, die von den Stäbchen abgezwickt wurden. Die Zwischenräume wurden mit angeschliffenen Erbsensteinen oder Marmor(mehl) ausgefüllt. Als um 1860 die Vorräte an Erbsensteinen abnahmen, ersetzte man diese durch runde Steinplättchen. Nach dem Trocknen des Klebemittels konnte sich kein Teil des Mosaiks mehr lösen. Noch offene Fehlstellen ließen sich mit zähflüssigem, heißem Schellack auskitten. Betrachtet man ein solches Mosaik im Streiflicht einer Lampe, lassen sich diese Füllungen auf der Oberfläche gut erkennen. Nach dem Erkalten wurden auf einer Eisenscheibe alle Unebenheiten und Lackreste plan geschliffen. Abschließend mussten die fertigen Mosaikplättchen poliert und auf die vorgesehenen Gegenstände aufgeklebt werden. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatten die Sprudelsteinschleifer eine neue Idee: sie schnitten Eierschalen in schmale Streifen und setzten diese dann als Stiele für Blätter- und Blütenranken in das Mosaik ein. Die streng symmetrischen Arabsekenformen wurden nun aufgelockert. Jetzt entstand eine Fülle neuer Mosaike mit floralen Ornamenten.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlosch die Sprudelsteinschleiferei und damit auch die Produktion qualitätvoller Mosaikwaren. Lediglich in Museen und Privatsammlungen bleiben die für den Kurort Karlsbad charakteristischen Souvenirstücke aus Sprudelstein erhalten. Das Egerland-Museum präsentiert in seiner Dauerausstellung eine kleine Abteilung zu diesem Thema. In Zukunft sollen weitere Stücke den Sammlungsbestand erweitern.

Sprudelsteinarbeiten – Ein Forschungsthema

Basierend auf einem großen Fundus von Leihgaben wird sich im Jahr 2004 eine größere Sonderausstellung im Egerland-Museum ausführlich dem Thema „Sprudelstein“ widmen. Fachübergreifend sollen Themenbereiche wie die Geologie und Hydrologie von Karlsbad, der Sprudelstein als Baumaterial, die Vielfalt der Sprudelsteinarbeiten, der Handel und das Handwerk, die Vorreiterrolle Goethes und des Steinschneiders Müllers für das Sammeln und Vermarkten, aber auch eine Werkstoffanalyse durch Restauratoren erarbeitet und präsentiert werden. Ein zweisprachiger illustrierter Begleitkatalog ist vorgesehen. Im Zusammenhang mit dieser Sonderausstellung werden aber auch gerne Hinweise von Zeitzeugen, die über den Sprudelstein, seine Bearbeitung, die typischen Werkstatteinrichtungen oder über den Souvenirhandel Auskunft geben, dankbar entgegengenommen. Vielleicht gibt es noch jemanden, der in diesem Kunsthandwerk gearbeitet hat? Wir sind sozusagen auf der Suche nach dem „Letzten seines Standes“. Auch über Fotos und Postkarten, die sich auf dieses Thema beziehen, würden wir uns freuen. Sie können uns unter folgender Adresse und Rufnummer erreichen:

Egerland-Museum, Fikentscherstr. 24, 95615 Marktredwitz
0 92 31 / 39 07
Email  egerlandmuseum@egerlaender.de

Literaturangaben:

Eichler, Richard W.:  Der Edelsteinschneider und Mineralienhändler Joseph Müller aus Liebenau ,In: Informationen für sudetendeutsche Heimatsammlungen, Folge 31/32. München 1989, S. 5 – 40
Festschrift zur Matineé des Heimatverbandes Karlsbader e.V. am 25.September 1993 in München. München, Wiesbaden 1993
Hofmann, Josef:Handwerk, Kunst und Industrie,
In: Festschrift zur 74. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte. Karlsbad 1902, S. 699 – 703
Krause, Erhard: Der Liebenauer Steinschneider und Goethefreund Joseph Müller in Karlsbad
In: Jahrbuch der Egerländer, 42. Jg. Nürnberg 1995, S. 83-85 und in: Sudetenland. Böhmen, Mähren, Schlesi 24. Jg., München 1982
Uibelacker, P.F.:  System des Karlsbader Sinters unter Vorstellung schöner und seltener Stücke, Erlangen 1781
Weigert, Ludwig: Die Sprudelsteinschleiferei;In: Karlsbader Badeblatt, 3. Jg., Folge 19/20 Festausgabe Wiesbaden, 1953, S. 25 f.
Weigert, Ludwig J.: Der Karlsbader Sprudelstein ,In: Andenken aus dem Egerland. Handwerk und Volkskunst. Schriftenreihe Egerland-Museum, Bd. 11, hgg. v. Bund der Eghalanda Gmoin e.V., S. 39 – 56
Weigert, Ludwig J.:  Der Karlsbader Sprudelstein und seine Verarbeitung ,In: Karlsbader historische Schriften, Bd. 1 Hgg. v. Milan Augustin und Ludwig J. Weigert
Karlsbad 2002, S. 39 – 55
Zechner, Christa: Von sprudelnden Steinen ,In: Höhlengeheimnisse. Offizieller Katalog der 38. Mineralientage München. 2001, S. 142 – 143

Volker Dittmar M.A.
Museumsleiter