Karlsbader Sprudelbecher
“Geborgen und verborgen” – März 2009
Karlsbader Sprudelbecher
Zeugnis eines blühenden Kurwesen im Egerland – Ein Sprudelbecher aus Karlsbad
Ein bemerkenswertes Objekt fand vor wenigen Jahren mit zahlreichen anderen Karlsbader Sprudelbechern und Sprudelsteinkästchen seinen Weg in das Egerland-Museum. Es steht stellvertretend für die große Sammelleidenschaft einer Münchnerin. 1982 schenkte Frau Edith Becher ihrem Ehemann Dr. Walter Becher, einem gebürtigen Karlsbader, ein Stück aus seiner Heimat: Einen Sprudelbecher aus Steingut. Seitdem wurde Frau Becher von einem heftigen „Sammlervirus“ befallen, der sie immer wieder auf Flohmärkten, Auktionen und Antiquitätengeschäften nach dergleichen Gegenständen Ausschau halten ließ. Nun wurde die Wohnung zum Hort für unzählige Kostbarkeiten. Eine hochwertige Sammlung von Sprudelbechern wuchs im Laufe der Zeit heran. Umso mehr wissen es die Verantwortlichen des Egerland-Museums zu schätzen, dass das Ehepaar Becher ihren kostbaren Bestand nach Marktredwitz in museale Hände gab.
Um diese Geschichte mit dem historischen Umfeld abzurunden, begeben wir uns ein paar Jahrhunderte zurück in die Vergangenheit eines böhmischen Kurorts. Schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts konnte sich der Adel in Karlsbad neben einer Badekur auch einer Trinkkur unterziehen. Anfangs herrschte noch der Irrglaube „viel hilft viel“. Zu wenig wusste man damals über die Zusammensetzung des Heilwassers und seine medizinische Wirkung. So blieb es nicht aus, dass die hochrangigen Kurgäste das gehaltvolle Mineralwassser oftmals in enormen Mengen zu sich nahmen. Die abführenden Folgen blieben hier sicherlich nicht aus. Infolge der industriellen Revolution und den gesellschaftlichen Veränderungen stieg im 18. Jahrhundert die Zahl der vermögenden bürgerlichen Kurgäste stark an. Noch galt das Schröpfen als Allheilmittel und rituelle Brunnenregeln gaben vor, welche Verhaltenvorschriften hinsichtlich der Gesundheit zu beachten waren: Beispielsweise was der „Patient“ essen durfte und wie viel er sich bewegen musste. Neben dem Genesen räumte man dem Genießen und dem Promenieren in den Kuranlagen einen großen Stellenwert ein. Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts gewann die Trinkkur eine immer größere Bedeutung. Als wichtigstes Utensil des Kurgastes in den böhmischen Bädern galt nun der Sprudelbecher. Er avancierte zum Repräsentationsobjekt schlechthin. Anders als in Marienbad und Franzensbad, wo das Wasser aus Gläsern getrunken wurde, dominierte in Karlsbad der Trinkbecher aus Porzellan oder aus dem leichteren Steingut. Ein Grund hierfür dürfte das stark mineral- und sinterhaltige Wasser gewesen sein, das in transparenten Trinkgefäßen eher unansehlich wirkte. Die Karlsbader „Boutiquen“ auf der „Wiese“ und auf dem Markt boten neben anderen Souvenirwaren eine große Auswahl an derartigen Porzellangefäßen an. Die Palette reichte von einfachen Bechern mit standardisierten Aufschriften bis hin zu repräsentativen verzierten Prunkstücken für gut Betuchte. Neben den reichen Rohstoffvorkommen ist das Entstehen vieler Porzellanfabriken im Egerland ab etwa 1792 auch auf den boomenden Bädertourismus der böhmischen Kurstädte zurückzuführen.
Der Karlsbader Sprudelbecher und die dazugehörige Porzellanmarke aus der Sammlung von Editha Becher.
Die Sprudelbecher waren in der Regel als Henkelbecher gestaltet, was das Halten beim Gehen und Stehen begünstigte. Ein wandelnder Zeitstil bzw. Modegeschmack bewirkte die Formveränderung dieses Gefäßtyps. Die leicht bauchige Wandung bot Platz für unterschiedliche Dekorationstechniken. Nicht nur die Fabriken selbst, auch die Hausmaler hatten mit der Verzierung der Weißware ihr Auskommen. Individuelle Wünsche wie Portraitdarstellungen oder Sinnsprüche, Monogramme und Datierungen in Gold konnten hier je nach Geschmack und Geldbeutel des Kunden direkt in Auftrag gegeben werden. Eine wesentliche Veränderung der Gefäßform fand in den 1920er Jahren statt. Zahnmediziner befürchteten, dass der Genuss des Karlsbader Mineralwassers eine Verfärbung der Zähne zur Folge hätte. Abhilfe versprach man sich durch eine neuartige Konstruktion am Gefäß: Der hohle Henkel diente nun gleichzeitig als Trinkröhrchen. Indem das Heilwasser durch diesen „Schnabel“ aus dem Becher gesaugt wurde, kam es weniger mit den Zähnen in Kontakt.
In der Sammlung Becher befindet sich ein derartiger Sprudelbecher aus Steingut samt der dazu gehörigen runden gelochten Porzellanmarke mit der Nummer „446“. Mit dieser konnte der Kurgast gegen ein Entgelt sein Gefäß in der Sprudelhalle deponieren. Das Trinkgefäß selbst ist ungemarkt. Es besitzt eine leicht gebauchte Form mit einem Durchmesser von 7 Zentimetern, ist etwa 12,5 Zentimeter hoch und mit seinem Röhrenhenkel 10 Zentimeter breit. Die goldfarbene Aufschrift verrät Herkunft und Alter: „Karlsbad 1929“. Neben einer schlichten Staffagenmalerei in Gold und einem rötlichen Rand zeigt die Wandung einen mehrfarbigen Druckdekor. Als Motiv ist der Karlsbader Sprudel, der wohl älteste Karlsbader Brunnen, dargestellt. Die Fontäne mit dem etwa 70 Grad heißen Wasser findet ihren Niederschlag in einem Becken. Es war üblich, sich mit seinem Becher in die lange Schlange der Wartenden einzureihen. Brunnenfrauen mit weißer Schutzkleidung und Kopfbedeckung bedienten hier die Kurgäste. Um das etwa 70 Grad heiße Wasser in den Sprudelbecher aufzunehmen, bedurfte es einer speziellen Schöpfstange, in die der Becher zum Befüllen mechanisch eingeklemmt wurde. Nach dem Abkühlen konnten die Kurgäste das Heilwasser beim Flanieren, bei Unterhaltung und Kurmusik genießen. Dabei galt die größte Aufmerksamkeit natürlich dem „Sehen und gesehen werden“.