Königsberger Krippenkunst
Thema des Monats Dezember 2002
Königsberger Krippenkunst
Dreiseitig verglaste Kastenkrippe aus Königsberg mit dem Krippenberg und den Miniaturschnitzereien Maße des Kastens: B 84 cm, H 82 cm, T 62 cm Leihgabe von Helmut Schmid, Landshut
Bei der neuen Sonderaustellung des Egerland-Museums
„Ich steh an deiner Krippen hier…Egerländer und Marktredwitzer Krippenkunst“
fällt den Besuchern eine Kastenkrippe besonderer Art ins Auge. Der dreiseitig verglaste und mit Kirschbaumholz furnierte Kasten besitzt ein geschweiftes Sims als Abschluß. Die Krippe ist 82 cm hoch, 84 cm breit und 62 cm tief. Entstanden ist sie vor fast 100 Jahren. Faszinierend ist nicht nur die enorme Vielzahl von kleinen und kleinsten ungefaßten Holzfiguren. Auch der Krippenberg mit seinen Höhlen und den zierlichen, ebenfalls geschnitzten Gebäuden zieht den Blick des Betrachters auf sich. Im Folgenden soll dieser Krippentypus näher beleuchtet werden.
Das Egerland hat in der Vergangenheit einen großen Formenreichtum von Weihnachtskrippen hervorgebracht. In und um Königsberg an der Eger ist ab dem Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 20. Jahrhundert hinein eine besonders feine Miniaturschnitzerei nachweisbar. Diese minutiös ausgearbeiteten kleinen Krippenfiguren gehen wohl auf eine ältere Miniaturschnitzerei des 18. Jahrhunderts zurück, die sich um Eger entwickelt haben dürfte. Dafür sprechen beispielsweise die Werke des nach 1700 bekannten Bildhauers und Tabernakelschnitzers Andreas Bürgl (oder Burgl). Eine seiner bedeutenden Miniaturschnitzereien kann man in der Klosterkirche Waldsassen betrachten. In der Tabernakeltür des Bernhardaltars ist hinter einer Glasscheibe eine Auszier mit Gold- und Silberdrahtarbeiten in Filigrantechnik angelegt. Geschnitzte Szenen aus der Legende des Heiligen Bernhards und der Passionsgeschichte bilden das ikonographische Programm. Die Schnitzereien blieben größtenteils ungefaßt. Die Klosterarbeit wird dem Frater Eder aus Waldsassen und die Miniaturschnitzerei dem besagten Bildhauer Andreas Bürgl zugeschrieben. Es existieren noch weitere Schreinkrippen und Tabernakelaufsätze aus dem Kloster Waldsassen und aus Kirchen des Stiftlands, die sehr ähnliche „Handschriften“ aufweisen. Auch Vincenz Prökl (1845) unterstreicht die Bedeutung des Künstlers: „Andreas Bürgl, gebürtig aus Eger, lebte um das Jahr 1700, er war ein berühmter Bildhauer, der den künstlichen Tabernakel in der Waldsassener Klosterkirche und viele andere Schnitzwerke verfertigte“. Das Egerländer Biographische Lexikon bezeichnet Andres Bürgl als Autodidakten, der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wirkte.
Ausschnitt aus der Königsberger Kastenkrippe, 137 geschnitzte Miniaturfiguren und viele Gebäude aus hellem Pfaffenhütchenholz geschnitzt
Diese Miniaturschnitzerei hatte offenbar auch in Königsberg Fuß gefaßt. Die Frage, inwieweit Egerer Künstler wie Andreas Burgl dies beeinflußt haben, muß offen bleiben. Jedenfalls waren die Grundlagen durch ein ausgeprägtes Möbelschreiner- und Bildhauerhandwerk gegeben. Großen Bekanntheitsgrad als Schnitzer erreichte der Hausweber Simon Buberl (1800-1877) und dessen Sohn Kaspar Buberl. Letzterer erlernte ursprünglich das Gürtlerhandwerk, wanderte 1854 nach Amerika aus und lebte hier als erfolgreicher Bildhauer. Die Tochter schrieb in einem Brief über ihren Vater Kaspar Buberl: „Ich weiß nur, dass ich nie gehört habe, dass er draußen für diese Arbeiten studiert hätte, es war angeborene Gabe, welche er von seinem Vater ererbt hatte, der neben der Ausübung der Hausweberei vorzügliche Darstellungen der Geburt Christi in Krippenform schnitzte“. In der Folgezeit betätigten sich auch zahlreiche Laien aus Königsberg als Krippenschnitzer. Sie alle übten die unterschiedlichste Berufe aus. Der Königsberger Zimmermeister Jäger soll unter Mithilfe von Simon Buberl die Leiden Christi geschnitzt haben. Darstellungen aus der Passionsgeschichte orientieren sich an den Kreuzwegstationen in Loretto (Altkinsberg). Es sind insgesamt 26 Stationen im Barockstil geschnitzt. Der Krippenforscher Josef Lanz datiert diese Arbeit auf die Zeit um 1860. Eine Überfülle von Nischen mit etwa 2 bis 3 Zentimeter großen Figuren, schmückendes Beiwerk, Akathusranken oder Muschelformen läßt auf den ersten Blick keine ruhige Stelle im Glasgehäuse, das wohl etwa 100 Jahre älter als die Schnitzerei sein dürfte, erkennen. Heute ist dieses Kunstwerks im Kreismuseum Falkenau ausgestellt.
Für die Krippenfiguren verwendete man neben Lindenholz überwiegend ungefaßtes, sehr feinfaseriges und helles Paffenkappelholz (Pfaffenhütchen) als Werkmaterial.
Auch die Figuren der ausgestellten Krippe sind oftmals nur fingernagelgroß und dabei anatomisch präzise ausgeformt. Sie befinden sich in einem außergewöhnlich guten Erhaltungszustand. Das Holz besitzt noch den hellen natürlichen Ton, als ob es frisch bearbeitet worden wäre. Zu verdanken ist dies einem hölzernen Kasten, der mit zur Original-Ausstattung der Kastenkrippe gehört. Nach Lichtmeß wird der Kastendeckel übergestülpt und die Krippe unter diesem Schutz bis zum nächsten Advent sicher verwahrt. Somit werden insbesondere die Krippenfiguren vor Lichteinwirkung bewahrt und der Alterungseffekt hinausgezögert. Deswegen wirken sie noch relativ hell, fast neu oder wie erst vor kurzem geschnitzt. Man kann hier von einer Geduldsarbeit sprechen, denn je kleiner die Figur ist, desto größer muß die handwerkliche Routine und Konzentration des Schnitzers gewesen sein. Entweder entstanden Figuren aus einem Stück oder man setzte geschickt in einer Kleidungsfalte Arme, Beine oder Hände an. Josef Lanz nennt als selbstgefertigteWerkzeuge kleine Schnitzeisen, Stecheisen aus Regenschirmstäbchen oder umgeänderte Nähmschinennadeln.
Richtungsweisend für die kunsthandwerkliche Entwicklung in Königsberg waren Simon Buberl (genannt Kubisch) und Franz Zapf. Beide schnitzten besonders lebendig und bewegt wirkende Figuren. Ob das ländliche Leben mit Bauern in Egerländer Tracht oder Schalmeispieler und Dudelsackbläser: die Haltung der Figuren ist gut getroffen. Anatomisch korrekt ist die Körperhaltung beim Schreiten, Hutabnehmen und Knien. Von Zapf stammt die bekannte Szene, bei der der Dudelsackspieler auf einem Baumast sitzt und sein Instrument spielt. Sein Hut hängt an einem Zweig daneben und weiter oben sitzt ein Vogel. Diese und andere Darstellungen wurden in der Folgezeit von anderen Schnitzern kopiert und in vielen Krippen bis weit ins 20. Jahrhundert übernommen.
Wichtiger Bestandteil neben den Miniaturfiguren ist der Krippenberg. Im Unterschied zu anderen Krippen, beispielsweise der Schlackenwalder Gegend, ist der Berg nach drei Seiten durchbrochen. Das Grundgerüst besteht aus genagelten und geleimten Brettchen, Latten und Rindenstücken. Darauf klebte man Schlacken sowie gesiebte bunte Glassplitter und arrangierte mitunter Kristalle, Korallenblüten, Schnecken und Muscheln. Die heimatliche Kleinflora belebt die Oberfläche: Schafgarbe, verschiedene Baumflechten, Wasserfeder, Isländisch Moos, Heidekraut und vieles mehr. Die einzelnen Krippendarstellungen sind über den ganzen Berg verstreut und verdichten sich in den Grotten und um den Geburtsstall. Spiegel erhellen die Grotten und verleihen ihnen gleichzeitig eine größere Raumtiefe.
Szene „Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies“ in der “Paradiesgrotte”
Szene vor dem Geburtsstall „Huldigung der Hirten“
Die Figuren sind etwa 3-3,5 cm groß
Eine weitere Besonderheit der Königsberger Krippe ist die Darstellung der Vertreibung aus dem Paradies. Die Szene mit Adam, Eva, dem Schwertengel und zahmen Tieren spielt sich in einer Grotte rechts neben dem Stall ab. Das Krippengeschehen als biblische Gegenüberstellung zum Sündenfall soll verdeutlichen, dass durch die Geburt Christi der Paradiesgarten, aus dem die Menschen vertrieben wurden, wiedergewonnen und der Mensch erlöst wird. In der links von der Krippe befindlichen Grotte steht ein Brunnen, aus dem eine junge Frau Wasser schöpft. Das verweist auf die Bekehrung der Sünderin, also auf die Erlösung durch Christus, der das Wasser des Lebens ist. Zugleich kann dies als ein Hinweis auf die Taufe gedeutet werden. Der Brunnen in der Krippe kann aber auch den Jakobsbrunnen symbolisieren, der auf dem Hirtenfeld bei Bethlehem steht und in den nach der Legende der Stern von Bethlehem nach Erfüllung seiner wegweisenden Aufgabe hineinfiel. Nur jungfräuliche Augen sollen ihn sehen können.
Kennzeichnend für diesen Krippentypus ist auch die den Berg bekrönende Stadt Jerusalem und der Zug der heiligen drei Könige. Sowohl die Gebäude als auch die drei berittenen Könige sind präzise ausgearbeitet. Reiter, Pferd und Sockel sind aus einem Stück Holz in lebendiger Haltung herausgeschnitzt. Sie gehören wohl zu den qualitätvollsten Figuren der Krippe. Zu dieser Kategorie müssen sicherlich auch die fein geschnitzten Engel unter dem Krippenhimmel gezählt werden. Der vorderste schwebt scheinbar frei in der Luft. Nur durch genauses Hinsehen erkennt man, dass es sich nicht um einen feinen Faden handelt, mit dem dieser Verkündigungsengel an der Krippendecke angehängt ist. Ein langes feines Haar mußte eine Frau oder ein Mädchen hierfür opfern, in diesem Fall ein blondes. Noch etliche Seiten Text wären nötig, um die ganze Szenerie, die sich auf und unter dem Krippenberg abspielt, beschreiben und interpretieren zu können.
Die Königsberger Krippe wurde dem Egerland-Museum dankenswerter Weise als Leihgabe für die Krippenausstellung zur Verfügung gestellt. Sie stammt aus dem Familienbesitz von Herrn Helmut Schmid. Sein Großvater, Josef Schmid, ließ die Figuren um das Jahr 1903 in Königsberg schnitzen. Sie stand bis 1952 im Haus der Großeltern, Am Mühlanger 336 in Königsberg. Anschließend kam die Kastenkrippe in den Besitz des Sohns Helmut Schmid (Bahnhofstraße 549 in Königsberg). Im Zuge der Übersiedlung von Helmut und Helene Schmid im Jahr 1978 gelangte die Kastenkrippe nebst dem übrigen Inventar nach Bayern. Dieses besondere museale Stück ist noch bis zum 02. Februar 2003 im Rahmen der Sonderausstellung im Egerland-Museum zu sehen
Volker Dittmar M.A.
Museumsleiter
Literatur:
Berliner, Rudolf:
Die Weihnachtskrippe
München 1955
Bogner, Gerhard
Das große Krippen-Lexikon
Kempten 1981
Jakubek, Rudolf:
Kaspar Buberl. Ein Gedenkblatt zu dessen 100. Geburtstag am 22. September 1932.
In: Festschrift zur 700-Jahrfeier der Egerstadt Königsberg
Eger 1932, S. 57 ff
Karasek, Alfred und Lanz, Josef
Krippenkunst in Böhmen und Mähren vom Frühbarock bis zur Gegenwart
Marburg 1974, S. 55 f.
Lanz, Josef:
Der Weihnachtskrippenbau in Königsberg
In: Königsberger Nachrichten, 1965, S. 106 ff.
Prökl, Vincez:
Eger und das Egerland, Bd. 1
Prag und Eger 1845, S. 332
Sandner, Joh.
Königsberger Kleinkunst
In: Unser Egerland, 27. Jg., Eger 1923, S. 49 f. und S. 65 ff.
Schreiner, Lorenz (Hrsg.)
Eger und Egerland
München, Wien 1988, S. 285-288
Stadt Waldsassen und Katholischens Pfarramt Waldsassen (Hrsg.):
Adalbert Eder. Barocke Klosterarbeiten.
Begleitbroschüre zur Ausstellung vom 27. November 1999 bis 7. Januar 2000 in der Basilika von Waldsassen und dem Stiftlandmuseum Waldsassen.
Waldsassen 1999
Weinmann, Josef (Bearb. u. Hrsg.): Egerländer Biografisches Lexikon, Bd.1
Bayreuth 1985, S. 94
Stichwort „Burgl“