Familienzusammenhalt – Kunstwerk des Monats März 2006
Egerländer Kunstgalerie Marktredwitz
Durch surreal-ambivalente Bilderfindung zum kritischen Realismus
Als Kunstwerk des Monats März 2006 der Egerländer Kunstgalerie Marktredwitz stellen wir einen Linolschnitt des Malers und Grafikers Erhard Werndl von Lehenstein (* 1932 in Eger), Leipzig, vor. Das Werk trägt die Bezeichnung Familienzusammenhalt über Generationen (49 x 54,5 cm) und ist in den 1960er entstanden. Es war eines der Hauptwerke des Künstlers bei seiner ersten Ausstellung in Westdeutschland nach der sanften Revolution in der DDR. Diese Einzelausstellung fand 1990 im Egerland-Kulturhaus Marktredwitz statt. Es wird in der Schausammlung für Heimatkunst gezeigt, die der Schausammlung der Egerländer Kunstgalerie angegliedert ist.
Der Linolschnitt zeigt eine Vielzahl von menschlichen Gesichtern im Schwarz/weiß- Kontrast. Im Vordergrund sind drei Hauptpersonen in sitzender Haltung zu erkennen. Links beginnt diese Reihe mit einer weiblichen Figur, deren Antlitz von einem größeren weiblichen Kopf teilweise überlagert wird. Die mit hellem langem Haar gekennzeichnete Figur hält ein Buch (Gebetbuch?) in der Hand. Sie wird seitlich von einem großen Arm der hinter ihr angeordneten weiblichen Figur umschlungen. In der Mitte der ersten Reihe ist ein sitzendes Kind mit kreuzenden Armen angeordnet, das in einer Hand eine Münze hochhält. Vorn rechts schließt als dritte Figur ein sitzender Mann die vorderste Reihe ab. Er hält mit seiner linken Hand einen Schlüssel in die Höhe. Auf dem Kopf trägt er ein hutartiges Gebilde, das aber in den Bart des hinter ihm angeordneten wesentlich größeren männlichen Antlitzes übergeht. Vor den menschlichen Figuren in der ersten Reihe sind Hände zu erkennen, die Gegenstände halten, wie eine Sichel und eine Sparbüchse, oder nur ineinander verschlungen sind. Die mittlere Ebene des Bildes bildet eine Reihe von sieben Gesichtern, die teilweise ineinander übergehen. Diese Verflechtung geschieht in der Weise, dass eine Gesichtshälfte einer Figur zugleich die Gesichtshälfte der nächsten Figur darstellt, wodurch gleichzeitig der Eindruck einer doppelten Reihe entsteht. Den Hintergrund des Bildes bildet eine dritte Reihe von fünf Gesichtern, von denen nur die Haaransätze und die Augen- und Nasenpartien zu erkennen sind.
Das Ineinanderfügen der Antlitze erzeugt den Eindruck einer außergewöhnlichen Nähe der Körper und ihres engen Verbunds. Damit will der Künstler die gegenseitige Abhängigkeit der Generationen einer Familie und ihres Zusammenhalt symbolisieren. Die durch die Technik des Linolschnitts erzeugte Klarheit und Vereinfachung des Dargestellten vermittelt eine Realität, deren Aussage erst durch eine Bilderfindung, welche die Grenze zwischen der Realität und dem Phantastischen aufhebt, zustande kommt. Insoweit ist der Stil des Künstlers von seinen Leipziger Lehrern Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke beeinflusst. Beide haben durch surreale Bilderfindungen den sozialistischen Realismus weiter entwickelt und ihm eine kritische Komponente hinzugefügt. Erhard Werndl fühlt sich zudem künstlerisch der ausdruckstarken Malerin Käthe Kollwitz verbunden und erarbeitete sich einen eigenen Stil in der Technik des Linol- und Holzschnitts. Als engagierter Familienforscher wendet er sich Themen zu, die mit der Familie und ihrer Historie in Zusammenhang stehen.
Erhard Werndl stammt aus der seit 1356 urkundlich nachweisbaren Alt-Egerer Patrizier-Familie der geadelten Werndl von Lehenstein. Nach der Vertreibung in 1946 aus der Heimat kommt er zunächst nach Bitterfeld und erlernt das Malerhandwerk. Dann folgt 1951-1955 Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und anschließend 1955-1957 Studium an der Universität Leipzig mit dem Staatsexamen für Kunsterziehung. 1960 bis 1962 folgt eine Ausbildung an der Universität Berlin in der Sonderschulpädagogik mit Abschluss als Gehörlosen-Pädagoge. Von 1967 bis 1992 unterrichtet er an der Gehörlosenschule Leipzig Kunsterziehung, zusätzlich von 1964 bis 1967 auch an der Volkshochschule Leipzig. Mit seinen Schülern schafft er mehrere große Wandbilder z. B. Lebensfreude und Lernentwicklung (30 m²). Erhard Werndl wird 1978 mit der Medaille für Verdienste im künstlerischen Volksschaffen ausgezeichnet.
Der Künstler hat zahlreiche Einzelausstellungen so u. a. 1978 Leipzig, 1990 Marktredwitz, 1991 Neualbenreuth, 1992 Amberg, Ingolstadt, 1993 Eger, 2001 Markkleeberg, 2003 Franzensbad, 2005 Venedig. Außerdem beteiligt er sich an zahlreichen Ausstellungen u. a. in Leipzig, Augsburg, Sulzbach-Rosenberg, Wendlingen, Waldsassen, Würzburg, München, Weiden, Tepl, Falkenau, Eger, Karlsbad, Wiesbaden, Franzensbad, Zwickau. Außerdem macht er zahlreiche Studienreisen nach Russland, Österreich, Tschechien, Frankreich, Belgien und Luxemburg.
Erhard Werndl v. Lehenstein ist Mitglied des Arbeitskreis Egerländer Kultur-schaffender e. V., Ehrenmitglied der Egerländer Gmoin Leipzig, der Société Europenne de Culture Venedig und der Arbeitsgemeinschaft ostdeutscher Familienforscher e. V.
Das Kunstwerk ist eine Stiftung des Künstlers an die Egerland-Kulturhaus-Stiftung Marktredwitz.
Hans-Achaz v. Lindenfels