Egerländer Symbole – Kunstwerk des Monats Dezember 2003
Egerländer Kunstgalerie Marktredwitz
Symbol der erdhaften Verbundenheit mit der verlorenen Heimat
Als Kunstwerk des Monats stellen wir das Kunstwerk vor, das in der Eingangshalle des Egerland-Kulturhauses Marktredwitz seit 1973 die Besucher begrüßt: Egerländer Symbole, 1973, Gobelin, 300 x 230 cm, Entwurf (Karton) Ursula Benker-Schirmer (* 1927 Ragnit/ Ostpreußen). Der Gobelin ist von der Künstlerin gewebt. Die Egerland-Kulturhaus-Stiftung erteilte der Künstlerin beim Bau des Egerland-Kulturhauses den Auftrag zu diesem Kunstwerk, weil sie damit ihre Pflicht zur Kunst am Bau erfüllte. Die Stiftung konnte außerdem eine staatliche Förderung für das Kunstwerk erhalten, weil die Künstlerin selbst heimatvertrieben ist. Nicht zuletzt erfolgte die Beauftragung, weil die inzwischen international anerkannte Künstlerin bereits vor 30 Jahren mit ihren Werken in der Fachwelt hohe Anerkennung gefunden hatte.
Der Gobelin schmückt das eher nüchterne monotone Gesicht der Architektur in der mit Betonwänden versehenen Eingangshalle mit dem „warmen“ Material der Tapisserie. Die farbliche Gestaltung ist eher zurückhaltend. Es herrschen Braun- und gedämpfte Gelbtöne vor. Mittelpunkt ist das Achteck, die Form des Schmückstücks an der Egerländer Tracht, des Huasnaontoudaras. Es steht in einem herzförmigen Gebilde, das die symbolische Bedeutung hervorhebt. Diese symbolische Bedeutung wird von dem gesamten Bildaufbau eindrucksvoll unterstrichen. Die Herzform, selbst ein wichtiges Symbol in der Ikonographie des Egerlandes, wächst aus einem Geflecht von Urformen, das aus dem unteren Bildrand nach oben strebt, heraus. Dieses Geflecht wird von der Urform des Kristalls und des Pflanzenblatts geprägt. In der Anordnung und Farbgestaltung dieses Geflechts ergeben sich Formen, die an Wurzeln, Stämme und Äste erinnern. Damit wird eine Beziehung zur Erde, auf und in der Alles ruht und wurzelt, hergestellt. Sie deutet auf die Verbundenheit der Egerländer mit ihrer heimatlichen Erde hin. Das Achteck ist wie ein Schmuckstück in sich gegliedert. Die Mitte ist durch ein inneres Achteck mit einer mittigen Halbkugel, um die herum weitere acht Halbkugeln angeordnet sind, hervorgehoben. Auf das Achteck laufen innerhalb der Herzform helle Strahlenformen zu, die sich vereinzelt auch außerhalb der Herzform bis zum Bildrand fortsetzen. So ergibt sich als Sinngehalt des Bildteppichs, dass sich aus den in der Erde ruhenden Urformen die Mitte des Menschen, das Herz entwickelt, in dem ein herausragendes von Menschenhand geschaffenes Gebilde, ein Schmuckstück, strahlt. So wird durch den Gobelin auch auf den Mittelpunkt des Gebäudes, für den er geschaffen wurde, hingedeutet, auf den achteckigen Raum in der Mitte des Altbaus des Egerland-Kulturhauses, mit dem ebenfalls auf das wichtige Symbol des Egerlandes hingewiesen wird. Wenn die Legende stimmen sollte, dass sich das Achteck aus einer Rose, dem Symbol der Liebe und des Weiblichen, entwickelt haben soll, dann könnte diese Metamorphose durch die Darstellung eindrucksvoll wiedergegeben sein.
Ursula Benker-Schirmer studierte nach der Flucht aus ihrer Heimat in Halle, Berlin, Aubusson (Frankreich), Paris und Nürnberg Malen und Bildweberei. Seit 1958 hat sie als freischaffende Künstlerin ein Atelier in Marktredwitz. Von 1971 bis 1975 ist sie künstlerische Leiterin der Gobelin-Manufaktur der staatlichen Akademie in Nürnberg. 1975 gründet die Künstlerin die Fränkische Gobelin Manufaktur Marktredwitz. Von 1981 bis 1985 ist sie Direktorin des Tapestry Studios am West-Dean-College, England. Seit 1985 Weiterführung des eigenen Ateliers und der Manufaktur, zu der im Lauf der Jahre eine eigene Ateliergalerie mit reger Ausstellungstätigkeit aufgebaut ist. Seit 1988 besteht eine enge Zusammenarbeit mit der Galerie Müller und der Werkstatt für künstlerischen Steindruck in Großpösna/Leipzig.
Die Künstlerin erhält während ihres Studiums zwei französische und ein deutsches Stipendium. Sie nimmt seit 1955 an zahlreichen in und ausländischen Ausstellungen teil u. a. in USA, Paris, München, Nürnberg, Osnabrück, Eger, Stettin und Vesprem/Ungarn. Sie wurde 1988/9 zu der Weltausstellung in Melbourne eingeladen und ihre Werke gingen von dort aus mit der internationalen Wanderausstellung in Memphis, New York, Heidelberg und Aubusson mit. Die Künstlerin hatte 17 Einzelausstellungen u. a. in Chichester/ England (1985 und 1997), München (1987), Leipzig (1991 und 1994), Dresden (1996) und Lahti/Finnland (1998). Die Gobelins der Künstlerin sind in öffentlichem und privatem Besitz u. a. Berlin, München, Nürnberg, London, New York, San Francisco, Zürich, Basel und Tokio. Ursula Benker-Schirmer wurde mehrfach ausgezeichnet u. a. 1977 Bayerischer Staatspreis und Goldmedaille, 1990 Kulturpreis der Oberfranken-Stiftung, 1995 Verdienstmedaille der Stadt Marktredwitz, 1998 Kulturpreis der oberfränkischen Wirtschaft, 2003 Bundesverdienstkreuz.
Von außergewöhnlicher Bedeutung ist der von Ursula Benker-Schirmer entworfene und von der Fränkischen Gobelin Manufaktur Marktredwitz und dem Tapestry Studio des West-Dean-College/ Sussex gewebte Englisch-Deutsche Versöhnungs-Gobelin in der Cathedral in Chichester mit einem Ausmaß von 40 m², der 1985 an der Grabstätte des Bishop Richard und des Bishop George Bell, der gegen die Bombardements deutscher Städte eintrat, angebracht wurde. In diesem Gobelin sind christliche Symbole (Kreuz und Kelch) dargestellt. In gewisser Weise könnte in dem Gobelin Egerländer Symbole eine Vorwegnahme dieser künstlerischen Ausdrucksweise – in sehr viel bescheidenerer Form – gesehen werden.
Hans-Achaz v. Lindenfels