Chioggia – Kunstwerk des Monats April 2003
Egerländer Kunstgalerie Marktredwitz
Zum 100. Geburtstag von Professor Richard Fleißner
Mediterrane Welt und Geometrie der Linien
Mit dem Kunstwerk des Monats April 2003 wird ein Exponat der Schausammlung der Egerländer Kunstgalerie vorgestellt, das wir dem Maler und Grafiker Professor Richard Fleißner, der am 03. April 2003 seinen 100. Geburtstag hätte feiern können, zu verdanken haben. Das Gemälde mit dem Titel Kanal in Chioggia, um 1960, Öl auf Leinwand, 33 x 40 cm gehört zu einer Vielzahl von Werken, die auf den Reisen des Künstlers in den 60iger Jahren des vorigen Jahrhunderts nach Italien entstanden sind. In der Schausammlung werden insgesamt fünf dieser Werke gezeigt; außer dem Werk Kanal in Chioggia, die Gemälde Haus des Gondoliere, Häuser an der Adria, Fabrik am Gewässer, Aus Italien.
Die nach den schwierigen Zeiten des Naziregimes, des Krieges und der Wiederbegründung einer Existenz durchgeführten Reisen waren für Richard Fleißner die Wieder
Fleißners italienischen Landschaften mit den stark vereinfachten tektonischen Formen, der reizvollen Geometrie der Linien und ihrer schwebenden Farbigkeit strahlen eine faszinierende Leichtigkeit aus. Motivisch verarbeitet Fleißner – auch in Aquarellen, Linolschnitten, Kaltnadelarbeiten und Lithographien – die konstruktiv verschachtelte Architektur der Lagunenstädte und Fischerdörfer Venetiens. Einen breiten Raum nehmen in den entstandenen Werken die Fischerboote ein. Mit ihrem Geflecht von Masten, Segeln, Tauen, Netzen und Reusen bieten sie ein hervorragendes Motiv, um die Linie als wesentliches Element der Gestaltung zur Geltung zu bringen. Die Takelage der Fischerboote beherrscht den Kanal in Chioggia und gibt ihm das mediterrane Flair. In den Bildaufbau für diesen Kanal bringt der Künstler durch das Geflecht der Linien die Spannung und Durchdringung, die das Werk prägt.. Mit der fortschreitenden Vereinfachung und Verdichtung der Formen verliert die Gegenständlichkeit an Bedeutung. Die Ausdruckssprache wird abstrakter. Bei einem Vergleich mit Werken aus den 30er Jahren, die ähnliche Motive aufweisen, wird dies deutlich, obwohl es auch bei diesen Werken bereits beachtliche Ansätze zur Vereinfachung und zum Abstrahieren gibt.
In der Ausstellung Richard Fleißner und sein Lehrer August Brömse, die zur Eröffnung der Egerländer Kunstgalerie in 1999 gezeigt wurde, konnte die Entwicklung in Fleißners Werken zur Abstraktion einprägsam aufgezeigt werden. Das Gemälde Kanal in Chioggia ist in diese Entwicklung eher noch dem Anfang zuzuordnen. Die dargestellte Häuserfront entlang des Kanals bedeutet noch eine Haftung am Gegenständlichen. Diese Weiterentwicklung zum Abstrakten mit der Betonung der Linie und der nicht vollständigen Aufgabe des Gegenständlichen ist für Richard Fleißner typisch und bedeutet für ihn zugleich seine geistige Bindung an die Eindrücke, die er in seinem ganzen Leben von seiner Heimat wach gehalten hat.
Richard Fleißner ist vor 100 Jahren 1903 in Tuschkau, Kreis Mies, als Sohn des Gerichtskanzleiverwalters Franz Fleißner und dessen Ehefrau Regina geborene Nemelka geboren. Die Reifeprüfung legt er in Leitmeritz ab, wohin sich sein Vater versetzen lässt, damit er die höhere Schule besuchen kann. Er studiert dann von 1921 bis 1926 in Prag an der Deutschen Akademie der Bildenden Künste bei dem berühmten Professor August Brömse, der für den Aufbruch in die moderne Kunst bei den Egerländer Künstlern steht. Bereits 1922 und 1923 erhält er Preise der Prager Kunstakademie. 1924 erhält er den Rompreis der Akademie, der ihm seinen ersten Aufenthalt in Italien zusammen mit seinem Lehrer August Brömse und einigen Studienkollegen ermöglicht. Er macht dann Reisen nach Italien, Hamburg, Paris, an die Nordsee und die französische Küste.
Nach seinem Studium in Prag wirkt er zunächst am Realgymnasium in Asch und dann als Professor an der kunstgewerblichen Staatsfachschule in Gablonz. Gleichzeitig arbeitet er auch als freischaffender Maler und Graphiker. Er wird Mitglied der Prager Sezession und nimmt an Ausstellungen der Wiener Sezession sowie an zahlreichen, auch Internationalen Ausstellungen teil. 1927 heiratet Fleißner seine Studienkollegin und Malerin Edith Plischke, von der er 1957 geschieden wird.
In den 30er Jahren gerät Richard Fleißner in zunehmenden Maß in Konflikte, weil er sich gegen die Gleichmachungstendenzen in der Kunst stellt und an Ausstellungen teilnimmt, bei denen diese Tendenzen nicht gelten. 1938 wird er von der Kunstkammer der Nazis wegen politischer Unzuverlässigkeit gesperrt und von 1941 bis 1945 zum Kriegsdienst eingezogen. Nach dem Krieg siedelt er freiwillig nach München über, wo er von 1948 bis zu seiner Pensionierung in 1965 an der Deutschen Meisterschule für Mode als Professor für Aktzeichnen, Farb- und Gestaltungslehre und als Dozent am Berufspädagogischen Institut wirkt. 1957 heiratet er die Münchnerin Inge Kern, die im Jahr 1980 stirbt.
Ab 1957 übernimmt Fleißner bei der Künstlergilde Esslingen die Leitung für die Sudetendeutschen Künstler. 1967 erhält er den sudetendeutschen Anerkennungspreis für die bildende Kunst. In den sechziger Jahren unternimmt er Reisen nach Italien, in den siebziger Jahren Reisen nach Cuxhaven und an die Nordsee. Die Eindrücke dieser Reisen verarbeitet er als freischaffender Künstler, der er stets neben seiner Lehrtätigkeit geblieben ist. Er nimmt auch an zahlreichen Ausstellungen, auch internationalen teil. 1973 richtet das Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg eine Ausstellung zum 70. Geburtstag von Richard Fleißner aus. 1979 wird er von der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste zum ordentlichen Mitglied berufen. In den 80er Jahren ist Fleißner wegen nachlassender Sehkraft gezwungen, seine künstlerische Tätigkeit einzustellen. Frau Gertrud Träger ordnet in dieser Zeit seine Kunstsammlung. 1982 vermacht er dann in einem Testament seine Kunstsammlung und sein Vermögen der Egerland-Kulturhaus-Stiftung Marktredwitz mit der Auflage, eine Egerländer Kunstgalerie als eine Kunstsammlung der modernen Kunst zu errichten. 1983 wird eine Einzelausstellung im Haus der Heimat und im Egerland-Kulturhaus Marktredwitz durchgeführt. 1989 stirbt Richard Fleißner in Gräfelfing bei München.
1991 richtet das Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg posthum eine Einzelausstellung für Richard Fleißner aus. 1993/94 erscheint in der Schriftenreihe der Sudetendeutschen Akademie der Wissenschaften und Künste das Werk WIR, Künstler in der zweiten Heimat, in dem 18 sudetendeutsche Künstler, zu denen auch Fleißner gehört, dargestellt sind.
1999 wird nach Durchführung eines Erweiterungsbaus für das Egerland-Museum die Egerländer Kunstgalerie im Altbestand des Egerland-Kulturhauses in Marktredwitz eröffnet. In der Schausammlung der Kunstgalerie werden 80 Exponate von insgesamt 44 Künstlern gezeigt.
Hans-Achaz v.- Lindenfels